Kleine Familie, große Oper

Format

Hampson & Pisaroni (Foto: Dario Acosta)

Hampson & Pisaroni (Foto: Dario Acosta)

Thomas Hampson und Luca Pisaroni lernten einander in Salzburg kennen. Diesen Sommer singen beide in der Festspielstadt. Ein Gespräch über intelligentes Theater und Reisen mit Hunden.

Luca, wie lebt es sich mit einem Schwiegervater namens Thomas Hampson?

Pisaroni: Eigentlich ganz angenehm. Nein, im Ernst, ich bin nicht nur sehr glücklich mit seiner Tochter verheiratet, sondern habe in ihm auch einen wichtigen Mentor gewonnen.

Wie haben Sie einander kennengelernt?

Pisaroni: 2002 beim Don Giovanni hier in Salzburg. Catherine war öfters Gast bei den Proben mit Thomas. Ildebrando D´Arcangelo und ich hatten beide ein Auge auf sie geworfen. Einmal hat uns Thomas nach einer Probe beiseite genommen und gesagt: „Denkt nicht einmal daran!“

Hampson: Bei Ildebrando ist die Message offenbar angekommen (lacht). Luca und ich waren allerdings schon Kollegen und Freunde bevor wir eine Familie wurden.

Format trifft Thomas Hampson und Luca Pisaroni beim verlängerten Frühstück in einer gemütlichen Pension in Salzburg, wo sie in Don Carlos und Così fan tutte auftreten werden. Hampson wirkt gelassen, obwohl er später nach einem vollen Probentag noch nach London zurückfliegen muss, um am nächsten Abend in Simone Boccanegra zu singen. Pisaroni ebenso gelassen, weil seine Probe an diesem Tag abgesagt wurde.

Reisen Sie gerne?

Hampson: Reisen ist Teil meines Lebens und kann manchmal recht mühsam sein, aber Gott sei Dank reise ich momentan fast immer mit meiner Frau.

Pisaroni: Ich reise nicht nur mit meiner Frau, sondern auch mit unseren zwei Hunden. Das macht das ganze lustiger, aber nicht unbedingt einfacher.

Wie ist es, an so vielen verschiedenen Opernhäusern zu arbeiten und wie wirkt sich das auf Sie als Sänger aus?

Hampson: Es ist immer wieder spannend, sich neu einstellen zu müssen. Jedes Opernhaus hat selbstverständlich seine eigene Zielgruppe, sein eigenes Branding und seinen eigenen Rhythmus. Ein moderner Sänger heutzutage lernt, sich diesem Rhythmus anzupassen.

Pisaroni: Als junger Sänger lernt man in erster Linie zuzuhören, um zu verstehen, was von einem erwartet wird. Manchmal will ein Dirigent eines und ein Regisseur etwas anderes, und man ist dazwischen ein wenig gefangen, aber das ist auch eine Herausforderung.

Hat man als Sänger ein Mitspracherecht?

Hampson: Es gibt eine Hand voll Regisseure der alten Schule wie Peter Stein, die nicht nur aus einer Orchesterpartitur arbeiten, sondern auch den Dialog mit anderen erfahrenen Mitwirkenden schätzen. Das ist aber eher die Ausnahme.

Pisaroni: Die meisten Regisseure schätzen Sänger mit Anpassungsfähigkeiten. Ich habe gelernt, mich in Zurückhaltung zu üben. Bei einem Don Giovanni zum Beispiel, hat ein Tenor die Rolle des Ottavio deshalb nicht bekommen, weil er sich damit gebrüstet hatte, sie besonders gut zu kennen. Am nächsten Tag durfte ich vorsingen. Auf die Frage des Regisseurs, wie oft ich den Leporello schon gesungen hätte, sagte ich ‚ach, bloß ein paar mal, allerdings noch nie in so einer herausragenden Produktion’. Gott sei Dank wurde ich engagiert.

Hampson (lacht): du bist unverschämt.

Was denken sie über die Kunst des modernen Regietheaters?

Hampson: Wir leben in einer sehr visuellen Gesellschaft, die solche Entwicklungen fördert. Oper ist eine musikalische Kunstform in einem theatralischen Kontext. Anders als im Theater ist die Handlung in der Oper aber sekundär – im Vergleich zu einer Auseinandersetzung mit dem menschlichen Dilemma in einer gegebenen Musikform. Im Theater ist diese Entfaltung in einem freieren Rhythmus zu verwirklichen. Theater in Echtzeit lässt sich mit der „Sprache“ Musik kaum verwirklichen. Diesem Phänomen ist Wagner als einziger ziemlich nahe gekommen.

Worum geht es in der Oper?

Hamspon: Die Oper ist eine Welt voller Metaphern. Und heute wie damals geht es um zwischenmenschliche Beziehungen. Die größte Herausforderung ist es, die Intentionen des Komponisten dem heutigen Publikum relevant zu vermitteln.

Man könnte ja einfach nur der Musik zuhören…

Hampson: Nein, es geht darum eine Geschichte zu erzählen. Und es geht um Gefühle, die durch die Sprache der Musik ausgedrückt werden. Zum Beispiel passiert in den Mozart Opern auf der Bühne so viel, dass man nichts Neues dazu erfinden muss.

Pisaroni: Es fehlt an Demut gegenüber der Musik und den Absichten des Komponisten. Manchmal kommt es mir so vor, als würde die Musik einfach nur stören.

Hampson: Die Musik sollte im Mittelpunkt stehen und nicht zum Begleitgeräusch rund um ein theatrales Ereignis herabgesetzt werden. Es gibt heute manche Opernproduzenten, die nicht an die Musik glauben. Ist deshalb alles, was sie machen falsch? Nein. Sollten moderne Produktionen vom Spielplan verschwinden? Nein, aber uns fehlt ein aufrichtiger Dialog über die Qualität dieser Produktionen.

Interpretation braucht aber doch ihren Freiraum, sonst geht die Kunst zugrunde.

Hampson: Es geht nicht darum intelligentes, kritisches Theater zu diffamieren. Die Frage lautet viel mehr, ob der Fokus zwischen Tradition und Avantgarde immer noch auf dem Werk liegt. Wenn wir glauben zu wissen, was ein Don Giovanni des 21. Jahrhunderts ist, warum schreiben wir dann keinen? Ich bin jedenfalls nicht dazu bereit, das Genie eines da Ponte und insbesondere eines Mozarts völlig zu verdrehen.

Pisaroni: Jede Produktion hat ihre Besonderheit. Man muss eine Interpretation auch nicht unbedingt mögen, man darf damit auch nicht einverstanden sein. Wichtig ist die Qualität der künstlerischen Arbeit.

Herr Pisaroni, würden Sie eine Produktion ablehnen?

Pisaroni: Eine Produktion nicht anzunehmen, könnte ich mir vorstellen, einen Vertrag zu brechen keinesfalls. Das einzige, was ich kategorisch ablehne, ist den Charakter mutwillig zu zerstören. Manchmal entdeckt man aber auch ganz neue Seiten, die man bisher nicht kannte, und das kann sehr inspirierend sein.

Was ist das Faszinierende an der Oper?

Pisaroni: In der Oper müssen wir uns sowohl intellektuell als auch emotional auf das Stück einlassen. Wenn wir auf der Bühne stehen, befinden wir uns in einer Art sechsten Dimension.

Hampson: Und das Publikum gibt sich willentlich einer Illusion hin. Jeder schafft hier seine ganz eigene, sehr persönliche Realität.

Verliert man sich auch mal in einer Rolle?

Hampson: Also wenn jemand ernsthaft denkt, dass er auf der Bühne zu König Lear wird, ist er ein Psychopath.

Ist es heute schwieriger als Sänger zu überleben?

Pisaroni: Ich singe jetzt seit 12 Jahren und habe viele großartige Chancen gehabt. Ich muss zugeben, dass ich beobachte, dass sich die Dinge schon deutlich verändert haben. Aussehen und Marketing spielen eine große Rolle und jungen Sängern bleibt immer weniger Zeit, sich auf die Entwicklung der Stimme zu konzentrieren.

Liegt das an der Schnelllebigkeit oder der Ignoranz?

Pisaroni: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Welt der Oper eben verändert hat.

Jetzt werden aber Stimmen gegen diese Praxis laut.

Hampson: Mag sein. Aber wie ich meine Verantwortung wahrnehme, ist meine private Angelegenheit, das werde ich bestimmt nicht in der Presse austragen. Wir sind natürlich Teil dieses öffentlichen Dialogs über Bedingungen und Ressourcen. Das gehört aber nicht in die Presse, sondern auf den Verhandlungstisch. Es sollte immer einen seriösen Dialog zwischen Sängern und Intendanz geben.

Pisaroni: Die für mich viel relevantere Frage ist, wo unsere Kunstform sich hin entwickelt. Ich kann über Gagen und Proben diskutieren, aber wo steht die Oper in 20, 30 Jahren?

Hampson: Das ist auch die Frage, die mich am meisten beschäftigt. Wie können wir effizienter arbeiten, ohne die Kunst zu Tode zu sparen?

Pisaroni: Die gute Nachricht ist, dass es noch nie so ein starkes Interesse an der Oper gegeben hat wie jetzt.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Oper ein?

Hamspon: Äußerst positiv. Wir müssen nur einen Weg finden, effizienter und mit begrenzten Ressourcen zu arbeiten.

Was treibt Sie an, auf der Bühne zu stehen?

Pisaroni: Die Leidenschaft für diese Kunstform und die Überzeugung, dass Oper eine existentielle Erfahrung sein kann, so wie für mich.

Hampson: Ich gebe Luca Recht. Energie, Dankbarkeit und bedingungslose Liebe zur Musik – das treibt mich als Sänger seit fast 30 Jahren an.

Thomas Hampson, 58, zählt weltweit zu den wichtigsten Vertretern seines Fachs. Unverkennbar: sein saftiger lyrischer Bariton. 2003 gründete Hampson, dessen große Leidenschaft dem Kunstlied gilt, die Hampsong Foundation, die Forschungsprojekte, Symposien, Meisterkurse und Gesprächskonzerte veranstaltet. Gemeinsam mit seinem Schwiegersohn Luca Pisaroni singt Hampson Duette und Arien abseits der Opernbühne.

Luca Pisaroni, 38, wuchs in Busseto auf und studierte am Verdi-Konservatorium in Mailand, in Buenos Aires und in New York. Sein Operndebüt in Salzburg gab der Italiener mit dem dunklen Bassbariton 2002 als Masetto in Mozarts Don Giovanni. Seit 2007 ist Luca Pisaroni mit Thomas Hampsons Tochter Catherine verheiratet. Die beiden reisen am liebsten gemeinsam mit ihren zwei Hunden Lenny und Tristan.