Die gebürtige Kroatin Petra Grosinic heizt als DJ CounTessa auf den Wiener Tanzflächen ein, Monica Delgadillo aus Mexiko tanzt die Toleranz und Natalie Sopuchova aus Tschechien singt für die Gemeinschaft. Die drei Frauen mit Migrationshintergrund haben eines gemeinsam – die Wiener Brunnenpassage. In der Caritas-Einrichtung haben sie erfahren, dass Kunst und Integration wunderbar harmonieren.
Mitten am Yppenplatz in Wien Ottakring, nur eine Armlänge bis zum Brunnenmarkt: Es ist laut, Jugendliche fahren Rad, spielen Fußball, daneben sitzen einige ältere Türken auf Bänken, vis-à-vis ein paar Frauen mit ihren Kindern. Das Viertel ist ein Brennpunkt der Kulturen: Rund vierzig Prozent der Menschen, die rund um den Brunnenmarkt leben, haben Migrationshintergrund. Über eine halbe Million Euro hat die Stadt Wien in den vergangenen Jahren investiert, hat Häuser saniert, Pergolen gepflanzt und Spielplätze gebaut. Mittlerweile wimmelt es von chicen Lokalen, Galerien, Modeateliers und Kreativbüros. Zwischen türkischer Basarstimmung und dem neuen, urbanen Flair steht eine gläserne Halle – die Brunnenpassage. Ursprünglich hätte hier eine Markt- halle entstehen sollen, heute bringt die Caritas- Einrichtung Menschen aus allen Bevölkerungs- gruppen über die Kunst zusammen. Seit ihrer Eröffnung im Sommer 2007 ist sie längst zu einer festen Institution geworden. Von professionellen KünstlerInnen angeleitet, wird hier getanzt, gesungen, erzählt und vieles mehr. Die Produktio nen der Brunnenpassage gastieren im Wiener Konzerthaus oder bei den Wiener Festwochen. 2011 wurde sie mit dem österreichischen Integrationspreis ausgezeichnet. »Welt der Frau« hat sich auf dem Yppenplatz umgesehen und mit drei Frauen über die Brunnenpassage gesprochen.
Gut aufgelegt: Die gebürtige Kroatin Petra Grosinic ist die stolze DJ CounTessa.
Die spätherbstliche Abendsonne wirft ein warmes Licht durch die Glasvitrinen der Brunnenpassage. »Willkommen« steht hier in großen Buchstaben, daneben »Dobro Došli«. Petra Grosinic packt ihre Kopfhörer aus. Sie sind goldfarben, passend zu den kupferroten Haaren. »Die High Heels und die Kopfhörer sind mein Markenzeichen«, sagt sie, während sie im Plattenkoffer nach der richtigen Scheibe wühlt. »Dass ich eines Tages hinter statt vor den Plattenspielern stehen würde, damit hätte ich nie gerechnet.« Das Auflegen hat sie vor zwei Jahren in der Brunnenpassage gelernt, im Rahmen des Projekts »Yes! She can DJ«, gemeinsam mit zwanzig anderen jungen Frauen aus Portugal, Polen, der Türkei, Kroatien, Korea, dem Libanon und Österreich. »Es war spannend, wie viele unterschiedliche Musikrichtungen da aufeinander- getroffen sind. Jede von uns hat ja ›ihre‹ Musik mitgebracht.« Aus dem Projekt entstand das DJn Kollektiv »Brunnhilde«, auch Petra Grosinic ist Teil davon und bespielt seitdem als DJ CounTessa den Ost Klub, das Parlament oder den Club Couture in Wien. »Wenn ich nicht auf der Uni bin oder lernen muss, dann beschäftige ich mich viel mit Musik, höre neue Tracks und lasse mich inspirieren«, sagt Petra Grosinic. »DJ zu sein heißt nicht einfach nur CD rein – und das war’s schon. Du musst dir für jeden Club ein Konzept überlegen, und es sind technische Skills gefragt. Welches Kabel wohin führt oder wie ein Mischpult funktioniert.« Dabei hat Petra Grosinic schnell gelernt, dass sie sich in dem von Männern dominierten Business behaupten muss. »Es stehen immer noch viel zu wenige Frauen hinter den Turntables. Wenn ich bei einem Event ankomme, schauen mich die männlichen Kollegen erst einmal an und denken sich: Aha, das ist also DJ CounTessa, was wird die wohl spielen? Als Frau muss ich ständig mein Können unter Beweis stellen, um als DJane ernst genommen zu werden.« Unverwechselbar sein – das sei in dem Job wichtig. Petra Grosinic möchte in keine Schublade passen. Sondern wenn, dann in viele. Musik sei schließlich auch eine Frage der Identität. Und eine Frage des richtigen Timings. »Die richtigen Tracks raussuchen, den richtigen Sound zusammenbasteln, damit die Leute auf die Tanzfläche gehen, das ist die große Herausforderung. Man muss sich die Menschen anschauen und auf sie eingehen.« Petra Grosinic gefällt sich in der Rolle der Spielmacherin. »Ich bin mutiger und selbstbewusster geworden. Früher habe ich Partys einfach nur konsumiert. Heute kann ich mit meiner Musik die Stimmung der Leute beeinflussen, sie glücklich machen.«
Mit drei Jahren kam Petra Grosinic mit ihrer Familie aus Kroatien nach Österreich. Heute lebt die 24-jährige Studentin der Musik und Biologie selbst im Brunnenviertel, wo ihre Mutter einen Frisiersalon führt. Musikalisch mixt sie gerne Altes und Neues und möchte sich demnächst an ihre erste eigene Produktion wagen.
Musik baut Brücken: Natalie Sopuchova aus Tschechien hat im Singen ein Miteinander gefunden.
»Ich glaube nicht, dass es immer notwendig ist, dass sich alle durchmischen. Viel wichtiger ist ein gutes Nebeneinander.« Natalie Sopuchova nippt an ihrer Melange. »In Wien hat das für mich immer funktioniert. Vielleicht liegt es auch an meiner Herkunft. Österreich war ja mal ein Vielvölkerstaat und wir Tschechen ein Teil davon«, schmunzelt sie. »Das größte Problem war die Suche nach Arbeit. Jeder Migrant und jede Migrantin träumt von offizieller Arbeit. Und gerade daran scheitert es leider. Offiziell durfte ich bisher nur 90 volle Tage arbeiten. Obwohl ich Akademikerin bin und Tschechien längst in der EU ist. Deutschland und Österreich waren die letzten zwei Staaten, die sich bis zuletzt gegen eine Öffnung des Arbeitsmarktes gewehrt haben. Am 1. Mai 2011 sind endlich auch für Menschen wie mich die letzten Barrieren gefallen.« Auf die Brunnenpassage kam Natalie Sopuchova durch einen Zufall. »Meine deutsche Gastfamilie kannte Anne Wiederhold, die künstlerische Leiterin der Brunnenpassage, sie war die Erste, mit der ich in Wien einen Kaffee trinken war, gleich hier am Yppenplatz. Als mir Anne vom Chor erzählt hat, dachte ich zuerst: ›Das ist nichts für mich.‹ Ich hatte ja noch nie gesungen. Zum Glück war die Neugier letztendlich doch größer als meine Hemmungen.« Aus dem ersten Hineinschnuppern ist für Natalie Sopuchova ein wöchentlicher Fixtermin geworden. »Ich war erstaunt, wie viele Österreicher mit- singen, viele leben gar nicht in dem Viertel. Sie kommen jeden Dienstagabend aus allen Ecken Wiens in die Brunnenpassage, nur um hier mit- einander zu singen. Musik kann Brücken zwischen den Menschen bauen, sie drückt aus, was mit Worten nicht gesagt werden kann. Positive Gemeinschaftserlebnisse wie gemeinsam zu sin- gen oder auf der Bühne zu stehen bewirken mehr als jede Integrationsdebatte. Schließlich geht es bei dem Thema um viel mehr als Politik und Sicherheit. Integration betrifft alle Bereiche des Lebens, und sie ist ein wechselseitiger Prozess.«
Eigentlich wollte die gebürtige Tschechin nach ihrer Matura nur ein Jahr Auslandserfahrung in Deutschland sammeln. Aber sie blieb und studierte Politikwissenschaften in München. Seit drei Jahren lebt Natalie Sopuchova in Wien, schreibt an ihrer Dissertation und will demnächst promovieren.
Tanz dich frei:
Monica Delgadillo aus Mexiko tanzt für Toleranz.
Noch wollen nicht alle Tanzschritte perfekt klappen, doch das ist für Monica Delgadillo zweitrangig. Die Choreografin und Leiterin des Projekts »Tanz die Toleranz« erhofft sich von dem Tanztraining viel mehr als nur eine gelungene Abschlussaufführung. »Egal was ihr tut, haltet immer den Kopf aufrecht«, ruft sie in den Raum. Beschämtes Kichern in der Gruppe. Sofort unter- bricht Monica Delgadillo die Musik. Sie lässt keinen aus der Verantwortung – vor allen Dingen nicht sich selbst. Die Arbeit mit Laien, so wie sie Monica Delgadillo versteht, ist ein dynamischer Prozess, der viel Flexibilität und Einfühlungsvermögen voraussetzt. Es ist ein Geben und Nehmen, sagt sie, bei dem man nie das gemeinsame Ziel aus den Augen verlieren darf. »Im Tanz lernen wir miteinander zu leben, den zu Verfügung stehen- den Raum auszuhandeln. Und wir lernen, dass eine Gruppe nur dann funktioniert, wenn alle zu hundert Prozent dabei sind. Wir sind Teil der Idee, Teil der Choreografie, Teil der Aufführung. Deshalb ist Tanz ideal, um Grenzen abzubauen. Am Schluss soll jeder einzelne bereit sein, die Bühne zu betreten: stark, selbstbewusst und voller Stolz.« Beim Tanz geht es nicht nur darum, für Menschen mit Migrationshintergrund eine Bühne zu schaffen. Es geht um das Miteinander von In- und Ausländern, Männern und Frauen, Jung und Alt, Flüchtlingen und Asylwerbern, Menschen mit oder ohne Schulabschluss. Hier muss keiner seine Geschichte erzählen. »Beim Tanzen sind alle gleich. Im Mittelpunkt steht die Kunst; unabhängig von Erfahrung, Alter, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Herkunft.«
Monica Delgadillo wurde in Guadalajara, Mexiko, geboren. Sie tanzt, seitdem sie denken kann. In Mexiko studierte sie klassisches Ballett und tanzte in diversen »Dance Companies«, ehe sie den Sprung nach Europa wagte. Seit 2010 leitet Monica Delgadillo das Projekt »Tanz die Toleranz«.